Forschungsschwerpunkt: Moderne Regulierungsregime

Der moderne Interventionsstaat des späten 19. und 20. Jahrhunderts hat neue Regulierungsstrukturen in Staat und Gesellschaft hervorgebracht. Der Forschungsschwerpunkt „Moderne Regulierungsregime“ möchte diesen Wandel aus rechtshistorischer Sicht und zugleich in interdisziplinärer Perspektive untersuchen. Die Forschungsfrage ist dabei juristisch sowohl im Kontext der Geschichte des öffentlichen Rechts als auch des Privatrechts und Strafrechts verortet.

Denn nicht nur Staats- und Verwaltungsrecht haben sich an der Wende zur Moderne gewandelt und mit Unterdisziplinen wie dem „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ den Wahrnehmungsverschiebungen lebhaft Ausdruck gegeben; Strukturen wie die „regulierte Selbstregulierung“ wurden zunächst im öffentlichen Recht als Paradigmen entdeckt. Dennoch wäre der alleinige Fokus auf das öffentliche Recht eine empfindliche Verkürzung. Denn auch das Privatrecht hat einen tief greifenden Wandel durchlaufen, der sich zunächst als Dekodifikation präsentierte, da von Anfang an neben und außerhalb der zivilrechtlichen Kodifikationen zahlreiche Sondergesetze auf die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Moderne in Form von „helfendem und schützendem Privatrecht“ (Joachim Rückert) eingingen, wo die Prinzipien „frei und liberal“ nicht hinreichten. Viele dieser Gebiete wurden später infolge von Reformen wieder in die Kodifikation integriert, so dass hier von einer „Rekodifikation“ gesprochen werden kann, die freilich unter dem Banner des Verbraucherschutzes und europäischer Richtlinienvorgaben die nationalen Privatrechte nachhaltig geändert hat und weiter ändern wird. Wo dieses Paradigma des Verbraucherschutzes aber nicht greift, bleiben teilweise erstaunlich große Bereiche der wirtschaftlich-industriellen Selbstnormierung und Selbstregulierung von Konflikten; Kodifizierungsabwehr und Justizvermeidung können gegenüber den sonstigen Privatrechtsentwicklungen erstaunlich abweichende Muster aufweisen (siehe etwa das Rückversicherungsrecht).

Schließlich ist neben öffentlichem Recht und Zivilrecht an das Strafrecht zu denken. Auch hier sind neue Zwecke und Instrumentarien in die Gesetzgebung eingedrungen – Referenzgebiete sind etwa das Umweltstrafrecht oder das Wirtschaftsstrafrecht –, haben das Strafrecht gewandelt und vor allem zu einer kaum noch überschaubaren und rechtshistorisch wenig untersuchten Ausweitung des Nebenstrafrechts geführt.  

Zugleich verschleiert diese nach rechtswissenschaftlichen Disziplinen getrennte Aufstellung, dass die modernen Regulierungsregime typischerweise Querschnittsmaterien sind, die sich gerade nicht einem der drei klassischen Rechtsgebiete alleine zuordnen lassen. Klassiker der (deutschen) Interventionsgesetzgebung wie das Reichskaligesetz von 1910 oder das Stabilitätsgesetz von 1967 situieren sich an Schnittstellen; neue Disziplinen wie Sozialrecht, Umweltrecht, Technikrecht bilden sich quer zu den tradierten Einteilungen und stellen diese in Frage.

Vorsprung durch Farbe: 1913 wird in der Zeitschrift „Stahl und Eisen“ eine bunte Tafel abgebildet, die die Arbeitssicherheit in den Fabriken erhöhen soll (aus: Stahl und Eisen 33 [1913], Heft Nr.12, Tafel 5). Die Standardisierung von Farben als Unterscheidungsmerkmal von Rohren erfolgt abhängig von ihrer Funktion und ihres Inhalts. Bei Betriebsstörungen und Unglücksfällen sollen farblich einheitliche Anstriche schnelle Hilfe ermöglichen. Die Einheitsfarben sind ein Beispiel der technischen Normung bzw. industriellen Selbstnormierung. In diesem Fall wirkten der Verein Deutscher Eisenhüttenleute (VdEH), Sachverständigenvereine und einzelne Ingenieure zusammen. Weitere Beispiele von rechtlichen wie nicht-rechtlichen Normierungen zwischen Staat, Gesellschaft und anderen Akteuren finden sich zuhauf in der industriellen Moderne.

Publikationen zu Moderne Regulierungsregime (in Auswahl)

Bücher:

Miloš Vec, Recht und Normierung in der Industriellen Revolution. Neue Strukturen der Normsetzung in Völkerrecht, staatlicher Gesetzgebung und gesellschaftlicher Selbstnormierung, IX, 491 Seiten, Frankfurt am Main: V. Klostermann 2006 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 200; Recht in der Industriellen Revolution 1).

Aufsätze:

Miloš Vec, "Reinsurance law as an autonomous regulation regime? Resistance to codification and advoidance of state jurisdiction in the twenthieth century",in: Niels-Viggo Haueter, Geoffrey Jones (ed.), (The Oxford Handbook of) Managing Risk in Reinsurance. From City Fires to Global Warming, Oxford University Press: Oxford 2017, S.206-229.

Miloš Vec, Kurze Geschichte des Technikrechts, in: Rainer Schröder/ Martin Schulte (Hg.), Handbuch des Technikrechts (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaften), Springer Verlag 2. Auflage Heidelberg 2011, S.3-92.

Miloš Vec, Art. „Interventionsstaat“, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 2. Auflage, Bd.2, hrsg. von Albrecht Cordes, Heiner Lück und Dieter Werkmüller, Berlin 2011, Sp. 1279-1283.

Miloš Vec, „Zerreißproben in der Massenfabrikation. Selbstregulierte Normierung von Eisen- und Stahlprodukten durch den Verein Deutscher Eisenhüttenleute 1860-1914", in: Helmut Maier, Andreas Zilt, Manfred Rasch (Hg.), 150 Jahre Stahlinstitut VDEh – 1860-2010, Klartext Verlag Essen 2010, S.823-850.

Miloš Vec, Art. "Consumer Protection (Medieval and Post-Medieval Roman Law)", in: The Oxford International Encyclopedia of Legal History (ELH), ed. by Stanley N. Katz, Vol. II, Oxford University Press, New York 2009, S.169-173.

Miloš Vec, „Die Eisenbahnräuber unserer Zeit. Hat das Strafrecht Instrumente, mit denen wir die Verursacher der globalen Finanzkrise zur Verantwortung ziehen können? Risikogeschäfte lassen sich schlecht in individuelle Schuldanteile zerlegen, aber die Funktionsfähigkeit der Weltwirtschaft ist schutzwürdig", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. Juli 2009, S.29.

Miloš Vec, Art. „Gefährdungshaftung", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 2. Auflage, hrsg. von Albrecht Cordes, Heiner Lück und Dieter Werkmüller, Berlin 2008, Sp.1982-1985.

Kontakt:

Univ.-Prof. Dr. Miloš Vec
Lehrstuhl für europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte
Universität Wien
Juridicum
Schottenbastei 10-16
A-1010 Wien
e-mail: milos.vec@univie.ac.at