Forschungsschwerpunkt: Völkerrechtsgeschichte
Die Geschichte des Völkerrechts gehört zu den Rechtsgebieten, die traditionell wenig Aufmerksamkeit erfahren haben, zuletzt aber nicht nur in den Fokus der Rechtsgeschichte, sondern vieler Disziplinen gelangt sind. Das Projekt untersucht die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Früher Neuzeit, 19. Jahrhundert und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Es interessiert sich besonders für die Wissenschaftsgeschichte des Völkerrechts.
Der Schwerpunkt des Forschungsprojekts liegt auf Begriffen, Geltungsgründen und Grundprinzipien des Völkerrechts. Das Projekt untersucht anhand dieser paradigmatischen Veränderungen rechtlicher Strukturen in den internationalen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Die internationalen Strukturen weisen im Forschungszeitraum eine bemerkenswerte Entwicklung auf: Zwischen dem Ende des Ancien Régime und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs entwickelt sich das Völkerrecht von einem Koexistenz- zu einem Kooperationsrecht. Neue internationale Regimes zur Regulierung von mannigfaltigen politischen, sozialen und ökonomischen Interessen werden gegründet. Die Staatenbeziehungen werden in zunehmendem Maße verrechtlicht. Prinzipien wie die Grundrechte der Staaten oder die internationale Gemeinschaft treten hervor. Ideen wie die der Menschenrechte und des internationalen Friedens werden weiterentwickelt und konkretisiert. Zwischenstaatliche Organisationen beginnen, die internationalen Beziehungen zu gestalten. Dabei ist ein Prozess der Universalisierung des Völkerrechts zu beobachten.
Ziel ist, in einem interdisziplinären Zusammenhang das Völkerrecht als einen eigenen Typus normativer Ordnung zu begreifen und seine historischen Strukturmerkmale zu analysieren: Welche Ziele und Werte konstituiert das Völkerrecht des 19. Jahrhunderts? Wer waren die Akteure und welcher juristischen Instrumente bedienten sie sich? In welcher Form universalisierten und verrechtlichten sich globale Normen und Ordnungen?
Ein besonderer Fokus soll auf der Frage der Rechtsquellen des Völkerrechts liegen, die von der zeitgenössischen Völkerrechtswissenschaft diskutiert und postuliert wurden. Dazu sollen exemplarisch die bekannten und weniger bekannten Protagonisten jener Disziplin erforscht werden, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts durch die Gründung des Institut de Droit International, durch Zeitschriftengründungen und neue Lehrstühle einen bemerkenswerten Aufschwung nahm. Dieser Wandel des Völkerrechts fand zwischen 1789 und 1914 reichen publizistischen Niederschlag bei Georg Friedrich von Martens, Theodor Schmalz, Julius Schmelzing, Friedrich Saalfeld, Carl Baron Kaltenborn von Stachau, Robert von Mohl, Henry Wheaton, August Wilhelm Heffter, August von Bulmerincq, Carl Bergbohm, Johann Caspar Bluntschli, Leopold Neumann, James Lorimer, William Edward Hall, Fedor Fedorowitsch von Martens, Carlos Calvo, Henry Bonfils, Franz von Liszt, John Westlake, Frantz Despagnet, Lassa Oppenheim und vielen anderen Autoren mehr. In allen diesen Werken wird die Frage nach den Grundlagen und Prinzipien des Völkerrechts angesprochen.
Zugleich wird nach der Universalisierung jenes Regelkomplexes gefragt, der sich in der Vormoderne und teilweise auch noch im 19. Jahrhundert als „ius publicum europaeum“ verstand, aber zunehmend globale Geltung beansprucht. Wie vollzog sich diese Universalisierung, und in welchem Verhältnis steht sie zu Entwicklungen wie Dekolonisierung oder regionalen politischen Zusammenschlüssen?
Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Miloš Vec
Lehrstuhl für europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte
Universität Wien
Juridicum
Schottenbastei 10-16
A-1010 Wien
e-mail: milos.vec@univie.ac.at