Projekt: Die Rechtsordnungen Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhundert: Rechtsfransfer und rechtliche Modernisierungsprozesse in Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert

(Drittmittelprojekt in Gemeinschaft mit dem Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main).

Südosteuropa tritt mit dem Niedergang des osmanischen Reichs in eine Phase beschleunigten Wandels ein. Die postosmanische Epoche der politischen Neuaufteilung des Balkanraumes zwischen den entstehenden Nationalstaaten einerseits und dem expandierenden Österreich-Ungarn andererseits ist durch eine Gemengelage aus altem und neuem Recht gekennzeichnet: Neben die ältere Normenschicht tradierten Rechts tritt eine solche aus dem Westen, und zwar in erster Linie aus Österreich rezipierten Rechts. Altes und neues rezipiertes Recht überlagern sich dabei in einer komplexen Weise. Der Wandel des Rechtssystems soll beispielhaft anhand der Entwicklungen in Serbien und Bosnien-Herzegowina verfolgt werden. In Serbien ist dieser Wandel mit der Nationalstaatsbildung verknüpft, während er in Bosnien durch Besetzung und Annexion des Landes seitens Österreich-Ungarns von außen in Gang gesetzt wird.

Das Projekt verknüpft Fragestellungen der österreichischen Rechtsgeschichte mit solchen des Balkanraumes, und zwar solche der Verfassungs- wie der Privat- und Strafrechtsgeschichte. Es umschließt zwei Fragenkomplexe: Zum einen geht es um die osmanische Rechtsordnung in den genannten Ländern. Ein zentraler Aspekt wird hier die „Poly-Normativität“ des Rechtssystems sein. Es geht dabei um die Frage, welche Rolle das osmanische Recht in diesen Ländern spielte und in welcher Beziehung es zu der jeweiligen regionalen und lokalen Rechtsüberlieferung stand. Ein weiterer Fragenschwerpunkt setzt sich sodann mit der Transformation der Rechtssysteme in Serbien und Bosnien-Herzegowina nach dem Ende der osmanischen Herrschaft auseinander. Diese Transformationsprozesse sollen jeweils auf dem Gebiet des Verfassungsrechts sowie des Zivil- und Strafrechts rekonstruiert werden: Wie geht der Prozess der Verfassungsgebung und der Aufbau eines modernen Straf- und Zivilrechts genau über die Bühne? Welche Rolle spielen dabei die österreichischen Vorbilder? Was sind die Bedingungen des intendierten „Rechtstransfers“ und wie wird das neue Recht implementiert und legitimiert? Wie werden die österreichischen Vorbilder dabei dem neuen Kontext, in den sie implantiert werden, angepasst? Schließlich: Wie präsent bleibt das osmanische Erbe in der postosmanischen Normenordnung?

Das Projekt wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main betrieben, das den überwiegenden Teil der Finanzierung übernommen hat und wo auch der erste Workshop zum Start des Projektes stattfand. Nächstes Jahr wird ein Projektband erscheinen, dessen Beiträge ganz überwiegend von Rechtshistorikern aus Serbien und Bosnien verfasst wurden. Der Band soll die folgenden Beiträge beinhalten:

Sima Avramovic, Belgrad, The Serbian Civil Code of 1844: A Battleground of Legal Traditions Žika Bujuklić, Belgrad, Doctrinal Reception of the European Legal Tradition among the Serbs in the Post-Ottoman Period

Zoran S. Mirković, Belgrad, Hauptstrafen in Serbien (von 1804 bis 1860)

Dragan Nikolić, Niš, The 1860 Criminal Code of the Principality of Serbia

Dragoljub Popović, Belgrad, The Dawn of Human Rights in Serbian Legal Thought

Srđan Šarkić, Novi Sad, The Beginning of Serbian Constitutionality

Uros Stankovic, Belgrad, Historische Entwicklung des Strafprozesses in Serbien 1815 – 1865

Mehmed Bećić, Sarajewo, Das Privatrecht in Bosnien-Herzegowina (1878 – 1918). Zur Koexistenz österreichischer und ottomanischer Rechtsinstitutionen

Fikret Karčić, Sarajewo, Survival of the Ottoman-Islamic laws in post-Ottoman times in Bosnia and Herzegovina

Edin Radušić, Sarajewo, Remains of Ottoman Agrarian Legislation and Practice in Bosnia under Austro-Hungarian rule: The Political and Social Impact on Acceptance/Perception of the new Ruler as their own by the Bosnian Peoples/Religious Groups.

Stefan Meder, Hannover, Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht. Zur Rechtsquellenlehre von Valtazar Bogišić in den Motiven zum montenegrinischen Gesetzbuch von 1888

Schmidt-Neke, Albanische Verfassungsgebung bis 1928 im Spannungsfeld zwischen dem Osmanischem Reich, den europäischen Mächten, den USA und den Staaten der Region